Scharfe Type — Über das Eszett
Für manche ist es der Prügelknabe der deutschen Orthografie, für andere ein Schandfleck der Typografie, für mich ist es ein Prachtstück und der schönste Buchstabe überhaupt – das Eszett.
Und so habe ich ihm meine Diplomarbeit gewidmet und versucht ihn jenseits von Rechtschreibreform und Versal-Eszett-Diskussionen in ein besseres Licht zu rücken. Entstanden ist ein Buch über „Eine scharfe Type.“
Die Idee
Ich trage einen seltenen Buchstaben im Nachnamen: Das ß. Und das macht Ärger. Denn obwohl ich diesen besonderen Buchstabe liebe und nicht müde werde ihn zu verwenden wann immer er berechtigt ist, geht das leider längst nicht allen so. Meine Aufgabenstellung war daher: Was kann man tun, um das zu ändern? Ganz einfach – man erklärt ihn, man untersucht ihn, man begründet ihn. Und man macht ihn sympathisch.
Das fängt beim Titel an. Welchen Namen bekommt das Kind, wo es doch schon so viele Namen hat? Eszett ist zwar sehr geläufig, ebenso oft wird er aber auch schlicht als „scharfes S“ bezeichnet. Ein scharfer Buchstabe also. Ein Sonderling. Eine komische Type. Eszett – Eine scharfe Type!
Prolog – Leseprobe
„Ich habe einen Lieblingsbuchstaben.
Ich mag das kleine g mit seinem Tropfennäschen, das versale Q mit seinem erhabenen Schweif, das kursive Minuskel-k, weil es sein Bein so schön streckt. Aber keiner dieser Buchstaben ist so schön wie dieser – das ß. Er ist ein kleines Stück Nationalstolz, typografisch gesehen versteht sich. Er ist betagt, er macht sich rar, er ist eine Eigenheit der deutschen Sprache, er ist ein Exot! Und wie das mit Eigenbrötlern so ist, sie leben unter uns, aber man weiß manchmal nicht so recht mit ihnen umzugehen. So auch mit dem ß. Ein typografischer Eigenbrötler unter all den Buchstaben. Das macht mir nichts, ich trage ihn stolz in meinem Nachnamen und das schon immer. Und ich will, dass das so bleibt. Ein aufgezwungenes Doppel- S reizt mich nicht. Das mag vielleicht einfacher sein, aber irgendwie auch uninteressanter. Diese Stelle hat schon ein eigener Buchstabe inne.
Zugegeben: schwierig wird es außerhalb der deutschen Sprachgrenzen. Der ß-im-Namen-Träger muss sich unterordnen, was bereits im Pass beginnt. Hier werden sämtliche typografische Regeln ignoriert, was bei der Einreise in nicht-deutschsprachige Länder aus dem ß nach kurzem Stirnrunzeln ein versales B macht. Nicht umsonst spricht man im Ausland gerne vom „German-B“. Aber auch Muttersprachler tun sich mit der Umschreibung „Eszett“ manchmal schwer. Erst kürzlich versuchte ich, meinen Nachnamen meinem Vermieter bei der Wohnungsübergabe zu buchstabieren: „Roßa – R-O-ESZETT-A“ – so wie ich es eigentlich schon immer tue. Er schrieb auf das übergabeprotokoll „Rosza“, worauf ich ihn korrigierte und auf das „Scharfe S“ verwies, Ergebnis: „Roßza“. Ich bin gespannt, ob eine Kontaktaufnahme zwecks Rückzahlung der Kaution zustande kommt.“
Erste Ideen
Anfangs fand ich es nicht so einfach sich einem Buchstaben aus rein typografisch-erzählerischer Sicht zu nähern. Die ersten Ideen waren daher eine Art Logo zu entwickeln, statistische Werte wie die Buchstabenhäufigkeit zu visualisieren oder typografische Experimente zu probieren.
Entstehungsprozess
Wie nähert man sich einem Buchstaben an? Kann ein einzelner Buchstabe eine Geschichte erzählen? Kann er vielleicht sogar Bestandteil einer Geschichte sein, durch Personifizierung desselben? Gelitten hat das Eszett schließlich wirklich genug, das bietet sicher reichlich Stoff für eine Geschichte: Die Leiden des jungen (alten) Eszett.
So waren meine ersten Gedanken zum Thema, aber sie stellten sich als der Sache nicht angemessen heraus. Schließlich wollte ich kein Kinderbuch machen, das „Problem ß“ sollte ernst genommen werden und dazu braucht es mehr als ein paar niedliche Buchstaben.
Vielleicht betrachtet man den Buchstaben als eine Marke? Ein „Branding“ fürs Eszett mit einer Bildmarke als Kern eines Corporate Designs? Kann man einen Buchstaben branden? Ganz so abwegig war das nicht, zumindest eine Bildmarke, die den Buchstaben zu einer abstrakten Form fügt, ließ sich einfach umsetzen, aber dann?
Und so wuchs die Idee, ein Buch über das Eszett zu schreiben. Ein Sammelsurium über Kuriositäten und Wissenswertes, eingebettet in eine Kampagne FÜR das Eszett.